Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft veranstaltete Anfang März einen Workshop und eine Podiumsdiskussion zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution 1918/19. Die 13. Ausgabe der Zeitschrift schließt daran an. Am 02.03.1919 war es in Berlin zu Auseinandersetzungen zwischen Bewohner_innen des proletarischen Scheunenviertels sowie Matrosen auf der einen und Armee plus Polizei auf der anderen Seite gekommen. Am 04.03. begann eine Million Berliner_innen den Generalstreik. In den folgenden Tagen wurde die Revolution brutal niedergeschlagen. Doch weder die radikalste Revolution in der deutschen Geschichte noch der konterrevolutionäre Terror, der sie erstickte, nehmen heute einen bedeutenden Platz in der Literaturgeschichte ein. Dabei existiert kaum eine Revolution, in der Schriftsteller_innen eine solch prominente Rolle spielten. Erich und Zenzl Mühsam, Franz Jung, Ret Marut/B. Traven, Ernst Toller und Gustav Landauer sind nur die bekanntesten unter ihnen, während eine ganze Masse aktivistischer Begleitungen – also z.B. Plakate, Flugschriften – wie auch historisch reflektierende Literatur, so sie nicht gänzlich ausgelöscht wurde, in Archiven der nagenden Kritik der Mäuse überlassen wird. Damit wird die Revolution gerade von der heutigen Literaturwissenschaft abermals zum Schweigen gebracht, als sei die Weimarer Republik mitsamt ihrer Literatur und Kultur wie ein (sozial-)demokratischer Phönix aus der Asche der ermordeten Revolutionär_innen erstanden. Undercurrents möchte mit seiner neuen Ausgabe zu umfangreichen Ausgrabungsarbeiten animieren und unter anderem folgende Fragen aufwerfen:

  • Was sind die Organisationsformen und Genres revolutionärer Literatur 1918/19? Wer sind ihre Protagonist_innen?
  • Auf welche Weise lebt die Novemberrevolution in literarischen Produktionen der folgenden 100 Jahre fort?
  • Wie ist die Literatur der Novemberrevolution im transnationalen Kontext der Revolutionen und ihrer Literatur um 1918/19 zu verorten? Ist die Literatur der Novemberrevolution im Rahmen der Entstehung einer Weltliteratur der Arbeiter_innenbewegung zu sehen?
  • In welchem Maße und in welchen Genres schrieben Revolutionär_innen und vor allem revolutionäre Arbeiter_innen? Welche Repräsentationen der agency von nicht-cis-männlichen Akteur_innen finden sich in der Literatur der Novemberrevolution?
  • Kann die Literatur der Novemberrevolution im Sinne einer Identitätspolitik der Arbeiter_innenbewegung gelesen werden? Inwiefern verkompliziert die Revolution mit ihren universellen Zielen bestimmte Formen von Identitätspolitik?
  • Wie lässt sich die Novemberrevolution nicht als tragisches Narrativ, als Scheitern erzählen –sondern vielleicht eher als eine Geschichte von (bis heute nicht eingelösten) Potentialen?
  • Wie lassen sich konterrevolutionäre Reaktionen auf die Novemberrevolution – etwa während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus – als Teil einer literarischen Geschichte der Konstruktion antisemitischer, rassistischer, sexistischer Stereotype lesen?
  • Inwiefern lässt sich die Literatur der Novemberrevolution daraufhin befragen, was sie uns für die heutigen politischen Kämpfe und kulturpolitischen Artikulationsformen lehren kann?
  • Auf welche Weise öffnet die Literatur der Novemberrevolution den Blick auf tagesaktuelle globale Geschehnisse – etwa das Ende des deutschen Kolonialismus in Folge der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg?

Vorschläge für Beiträge zu diesen und anderen Fragestellungen können bis zum 30. April 2019 an unsere E‑Mailadresse undercurrentsforum@gmx.de geschickt werden, wobei die Abstracts eine Länge von 300 Wörtern nicht überschreiten sollten. Infrage kommen sowohl Aufsätze, Essays, Rezensionen oder Polemiken; auch Beiträge außerhalb des Schwerpunktes sind willkommen. Über die Annahme der Abstracts entscheidet die Redaktion bis zum 15. Mai 2019. Der Abgabetermin für die fertigen Beiträge im Umfang von maximal 3000 Wörtern wird der 30. Juni 2019 sein. Die Redaktion behält sich eine Auswahl aus den eingesandten Texten vor.

Undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft fragt seit 2012 nach dem Verhältnis von Literatur, Literaturwissenschaft und emanzipatorischen Bewegungen. Die Zeitschrift versteht sich als Debattenforum für linke Literaturwissenschaftler_innen, Literaturschaffende und Interessierte. Aktuelle wie ältere Beiträge finden sich unter der URL: https://undercurrentsforum.com