Als einem, der im ersten Semester seines Deutsch-Lehramt-Studiums Jürgen Schutte als Studienberater der (studentischen) Institutsvertretung des Germanischen Seminars der FU Berlin kennenlernte und in dessen letztem von ihm gefragt wurde, ob er einen Lehrauftrag im gemeinsam mit ihm und einem anderen Wissenschaftlichen Assistenten zu haltenden Grundkurs „Einführung in die Literaturtheorie der DDR“ annehmen würde, drängt sich in der Trauer um seinen Verlust die Erinnerung an die Bedingungen auf, die ihn auf seine besondere Weise, wie das undercurrents-Interview belegt, bis in die letzten Tage seines Lebens, produktiv werden ließen. Trauer darüber, dass „das Ziel“ auch für ihn nicht „zu erreichen“ war, als Erinnerung daran, was es „in großer Ferne“ „deutlich sichtbar“ werden ließ (Bertolt Brecht, An die Nachgeborenen).

Jürgen Schutte war im Sommersemester 1966 nicht nur als Studienberater in der Institutsvertretung aktiv, sondern auch beteiligt an einem – ein Jahr später erscheinenden – Germanistikführer der Freien Universität Berlin (Institutsvertretung des Germanischen Seminars, 1967), in dem ich einige seiner Ratschläge vom Vorjahr wiedererkannte, z.B. die Empfehlung von Karl Otto Conradys Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft (1966) oder die Anfertigung von Exzerpten und Konspekten. Vor allem aber setzte die Institutsvertretung der 1966 mit Studienzeitbegrenzung und Zwangsexmatrikulation begonnenen „‚Symptombastelei‘“ die Forderung „Aktive Reformierung“ entgegen. Darunter verstand sie u.a. „Einbeziehung der Gegenstände der Einführungskurse in den Fortschritt der Wissenschaft“ (5), Kanonrevision und Methodenreflexion, u.a. Fachgeschichte (vgl. 53), „Förderung von Gruppenarbeit“ (40) und „Einführung […] einer öffentlichen Berichterstattung der Dozenten […] über ihre […] Forschungstätigkeit einmal im Semester“ (5). Gegen Conradys (1966, vgl.114-133) um 50% zu kürzende Leseliste wenden die studentischen Reformer ein, dass die Neuimmatrikulierten sich auch „über den historischen, gesellschaftlichen Kontext der Zeit, über philosophische und ästhetische Strömungen“ informieren sollten: „D.h., Sie müssen in der Lage sein, die analytische Nähe zum Stoff mit einer kritisch wägenden und zugleich synthetischen Distanz zu verbinden“ (39).

Der Studierendenvertreter Jürgen Schutte war damals Doktorand Eberhard Lämmerts, eines der Reformer unter den Professoren, der u.a. mit Conrady die Befassung des Münchener Germanistentags von 1966 mit der NS-Vergangenheit des Fachs initiiert hatte.  Seinen Vortrag „Germanistik – eine deutsche Wissenschaft“ (1966, 76-91) hielt Lämmert  schon vor München auf den Universitätstage[n] 1966 Nationalsozialismus und die deutsche Universität  vor überwiegend Studierenden der FU. Seine Reformvorschläge zu einer „sachgerechten Rückführung [der ‚deutschen Wissenschaft‘] auf eine unprätentiöse Fachdisziplin“ (91) leitete er folgendermaßen ein:

 „Wir haben derzeit Gelegenheit, an Arbeitsprogrammen der Ostberliner Universität erneut die Adaption der Germanistik zu einer Nationalwissenschaft zu studieren, und eine Analyse dieser Programme vermöchte wohl als Nebenergebnis die besonderen faschistoiden Züge des DDR-Kommunismus aufzudecken, die sich aus seiner pseudo-revolutionären Nachkriegs-Entstehung herleiten.“ (Lämmert 1966, 90)

In seinen wesentlich detaillierteren Ansichten einer künftigen Germanistik richtete sich drei Jahre später die Kritik auf die Situation der bundesrepublikanischen Germanistik:

„Demgegenüber ist eine bewußte Grundlegung literaturwisssenschaftlicher Arbeit durch  marxistische Theorien deshalb als Erweiterung bisheriger Methoden zu wünschen, weil nicht geleugnet werden kann, daß sie Erkenntniswege zu öffnen verspricht, die hierzulande bisher eher unterdrückt als schon korrumpiert sind – wie die nationalliberalen in Deutschland vor 1848.“ (Lämmert 1969, 97)

In der Einleitung seiner Dissertation ‚Schympff red‘. Frühformen bürgerlicher Agitation in Thomas Murners „Grossem Lutherischen Narren“ (1973) bezieht sich Jürgen Schutte auf „eine materialistische Geschichtsauffassung, sofern sie sich außerhalb vulgärmarxistischer Vorstellung und der damit verbundenen Widerspiegelungstheorie bewegt“ (Schutte 1973, 2),  auf „Ansätze“ von „Rezeptionstheorie“ (3) und „sozialpsychologische Forschung“ als „Rahmen“ (5), wenn er die für seine Untersuchung von Murners Satire leitenden Gesichtspunkte expliziert: „1. Die materielle und geistige Interessenlage der […] angesprochenen Bezugsgruppen; 2. die psychische Disposition dieser Schichten und 3. die […] verkündeten Lehren und ihre Bedeutung als ‚Antwort‘ auf eine spezifische Problemlage“ (4). Entsprechend sind die zitierten Theoretiker keineswegs nur marxistische; bei der Auszählung der ausdrücklichen Bezugnahmen ergibt sich folgende Abstufung der Häufigkeit: An erster Stelle liegt Max Horkheimer (der auch im undercurrents-Interview in beiden von Jürgen Schutte aus der Dissertation ausgewählten Selbstzitaten der von ihm wiederum Zitierte ist); an zweiter Stelle Erich Fromm, Erik H. Erikson und Jürgen Habermas; an dritter Theodor W. Adorno, Leo Löwenthal, Leo Kofler und Marx; an letzter Stelle Engels, Eduard Fuchs, Georg Lukács, Herbert Marcuse, Hans Mayer und Hans Robert Jauß.

An der Lehre und Forschung des zunächst Wissenschaftlichen Assistenten, dann Assistenzprofessors lassen sich zwei von dem Interesse an satirischen Frühformen bürgerlicher Agitation ausgehende Linien sehen, einerseits zu Satire mit anderer Funktion, andererseits zu nicht-satirischen Formen von ‚Massenliteratur‘. Seine Publikationen zeigen, wie Lehre forschungsbasiert war und Forschung basierte.

Seinen Habilitationsvortrag hielt er 1981 über „Satire und Realismus. Zur Schreibweise des Dreigroschenromans“ (1981); publiziert wurde er im zweiten Band der Neuen Folge von Literatur im historischen Prozess, die als Argument-Sonderbände seit 1980 erschien und nicht mehr wie seit 1973 im Scriptor-Verlag nur von Gert Mattenklott und Klaus Scherpe, sondern nun auch von Karl Heinz Götze, Jost Hermand, Lutz Winckler und Jürgen Schutte herausgegeben wurde. Zum Habilitationsverfahren gehörte auch das Einreichen von Darstellung und Materialien zu einer eigenen bereits abgehaltenen Lehrveranstaltung; Jürgen Schutte wählte einen vierstündigen Grundkurs aus dem Wintersemester 1978/79 zu „Brechts Dreigroschenroman“, in dessen Darstellung und Materialien er seine „Entscheidung“ begründet, „Grundkurse nur noch durchzuführen, sofern ein Kollege zur Mitarbeit gewonnen werden kann und annähernd ausreichend viele [studentische] Tutoren zur Verfügung stehen“: „die Vorbereitung und Durchführung eines so großen Grundkurses [100 bis 120 Studenten] im Team – Dozenten und Tutoren – ermöglicht […] methodische Entschiedenheit und Klarheit“ (Schutte o.D., a). Worauf diese sich richteten, wurde im „Text aus dem kommentierten Vorlesungsverzeichnis“ formuliert:

„Brechts Einschätzung des Faschismus 1933/34 und der ‚hilflose Antifaschismus‘ in Vergangenheit und Gegenwart; Brechts Realismustheorie: das Konzept der Umfunktionierung literarischer Formen/Mittel am Beispiel des Kriminalromans; Ideologiekritik als satirische Entlarvung im Dreigroschenroman.“ (1)

Als dieser Text im Herbst 1978 erschien, kam auch der erste Band des Jahrbuch[s] für antifaschistische Literatur und Kunst unter dem Titel Sammlung im Röderberg-Verlag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes heraus, in dessen Editorial der Herausgeber Uwe Naumann über „bestürzend aktuelle“ „Anlässe für dieses Jahrbuch […] in der Bundesrepublik“ schrieb:

„Da werden anno 1978 Nazi-Schriften und -Abzeichen offen gehandelt. Alte Nazis veranstalten allerorten ‚Kameradschaftstreffen‘ […]. Neofaschistische Banden […] beschmieren Wände, Gebäude und Gedenkstätten, betreiben paramilitärische Ausbildung […]. Zur gleichen Zeit wird der NPD vom Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg bescheinigt, verfassungsfeindliche Ziele seien ihr nicht nachzuweisen.“ (Naumann 1978, 5)

Zwei Jahre später publizierte Jürgen Schutte in der Sammlung  Bertolt Brechts ‚Dreigroschenroman’. Erfahrungen aus einem literaturwissenschaftlichen Grundkurs (1980); da waren diesem Grundkurs schon zwei weitere zu Satire mit anderer als apologetischer Funktion gefolgt, wiederum im Team-Teaching mit einem Kollegen und sechs studentischen Tutor_innen, und zwar im Sommersemester 1979 zu Heinrich Manns Der Untertan und im Sommersemester 1980 zu Heinrich Heine. Für den Untertan-Grundkurs erarbeitete Jürgen Schutte ein „Papier zum wissenschaftlichen Arbeiten“ (Vorbereitungssitzung vom 24.4.1979), das die erste Version des „Anhangs“ seiner Einführung in die Literaturinterpretation werden sollte, die 1985 in der Sammlung Metzler erschien: „Hinweise zur Technik des wissenschaftlichen Arbeitens“ (198-211).

Schon 1973 hatte Jürgen Schutte die Erfahrungen eines im Team unterrichteten Grundkurses publiziert, dessen Thema verweist aber auf die zweite Linie seiner von der Dissertation ausgehenden Forschungsinteressen; zusammen mit Axel Hauff und Eckart Köster legte er, deutlich programmatisch, vor: „Aufriß eines literaturwissenschaftlichen Grundkurses. Zur Genese apologetischer und reaktionärer Literaturströmungen in Deutschland um 1900“. Dieser „Aufriß“ erschien in dem von den Reihenherausgebern selbst herausgegebenen Band 4 Positionen der literarischen Intelligenz zwischen bürgerlicher Reaktion und Imperialismus (1973) der gerade erst begründeten Reihe Literatur im historischen Prozess. Während Gert Mattenklott nach Marburg berufen worden war, kam Klaus R. Scherpe zurück an die FU und begann 1973 ein „Forschungsprojekt ‚Literaturgeschichte und Sozialgeschichte 1880-1918‘“, in dessen „Zusammenhang“ nicht nur Jürgen Schuttes Sammlung Metzler-Band Lyrik des deutschen Naturalismus „entstand“ (1976) und die darauf aufbauende Anthologie Lyrik des Naturalismus (1982), sondern auch sein eigener Beitrag zu dem von ihm herausgegebenen Band 7 Erfahrung und Ideologie. Studien zur massenhaft verbreiteten Literatur in der Neuen Folge von Literatur im historischen Prozess (1983). Stellte Jürgen Schuttes Präsentation der Naturalisten „ihre zeitweilige Annäherung an die Kultur der Arbeiterbewegung“ (Schutte 1982, 33) in den Mittelpunkt, so ging es der Studie ‚Ein Jammer, daß nicht alle Fabrikanten so sind!‘ Zu Rudolf Herzogs Industrieromanen (1983) um eine der entgegengesetzten ‚Positionen der literarischen Intelligenz‘, nämlich die sich herausbildende faschistische.

In seinen Grundkursen antizipierte Jürgen Schutte nicht nur den „Anhang“ seiner Einführung in die Literaturinterpretation (1985), sondern auch die manche Rezensenten besonders frappierenden „Abbildungen“, z.B. das grundlegende „Modell der literarischen Kommunikation“ (Schutte 1985, 39) von gesellschaftlicher Wirklichkeit als das Dreieck von Autor und Leser und beider zum Vermittler umfassenden Viereck. Dieses lag schon seinem Konzept für die im Sommersemester 1973 gehaltene Einführung in die Literaturtheorie der DDR zugrunde; er konnte seinen Kollegen, der die Textauswahl ausschließlich unter dem „Aspekt Übernahme Brecht-Lukács-Standpunkte“ (Brief o.D. an Verf.) treffen wollte, von folgender „Gliederung“ überzeugen: Sie

„folgt […] den drei wesentlichen Aspekten dessen, was in der DDR mit dem Begriff der ‚Literaturgesellschaft‘ umrissen wird: 1. Widerspiegelungstheorie und Theorie des sozialistischen Realismus[,] 2. Theorie der Erbeaneignung und Funktion der Literaturkritik[,] 3. Theorie der Literaturaneignung und empirisch-soziologische Literaturforschung.“ (Schutte (o.D.)b 1).

Von den 1973 diskutierten Literaturwissenschaftlern der DDR lassen sich nur Hans-Dietrich Dahnke, Dietrich Löffler und Hans-Georg Werner auch in der Einführung in die Literaturinterpretation (1985) finden, aber mit Recht sah deren Rezensentin in den Weimarer Beiträgen, Inge Häußler (1987, 167), „einen Vorzug darin, daß die Problemdiskussion auf dem Niveau neuester Veröffentlichungen in der BRD und der DDR geführt wird“. Denn mit Veröffentlichungen seit 1973 waren in der Einführung Wolfgang Heise, Ursula Heukenkamp, Hans Kaufmann, Günther K. Lehmann, Manfred Naumann, Horst Redeker, Dieter Schlenstedt und Dietrich Sommer an die Stelle der im Unterschied zum Grundkurs nicht mehr diskutierten Kolleg_innen getreten. In Frage gestellt dagegen wurde das ‚Niveau neuester Veröffentlichungen‘ ausgerechnet im Argument, dessen Rezensent Jürgen Schuttes Einführung vorwarf, „als Entschuldigung für die Nichtbefassung mit beunruhigenden, verunsichernden Theorien“ von Studierenden gelesen werden zu können, weil in ihr „Psychoanalyse, Poststrukturalismus und feministische Literaturwissenschaft […] keinen Ort“ (Kramer 987, 283) hätten.

Noch während der „Ausarbeitung“ der Einführung, als er „einzelne Teile und Aspekte“ mit „Studentinnen und Studenten, Kolleginnen und Kollegen […] diskutieren konnte“ (1985, VII), eröffnete sich Jürgen Schutte ein neues Forschungsgebiet, als er seine, bis zum Ende des Lebens die wissenschaftliche Arbeit bestimmende Wendung zur Nachkriegsliteratur vollzog, zuerst mit einem – wiederum – im Team unterrichteten Grundkurs Kurzgeschichte 1945-49 im Sommersemester 1981, dann in der nachhaltigen Zusammenarbeit mit dem Archiv der Akademie der Künste, Berlin. Jürgen Schuttes Arbeit an den dort gerade angekommenen Nachlässen von Hans Werner Richter und Peter Weiss stellte unter Beweis, was einer seiner Schüler in der Besprechung des Buches, das sein letztes werden sollte (vgl. Schutte 2018), prägnant formuliert hat: dass „er seine Forschung immer als Kollektivarbeit begriff“ (Magenau 2018). So wie er von Anfang an in seiner Lehre studentischen Tutor_innen wie auch den Verfasser_innen von ihm im Forschungsprojekt betreuter Magister- und Staatsexamensarbeiten die Chance eröffnet hatte, publiziert zu werden, so betreute er nun Doktorand_innen, die zur Gruppe 47 und insbesondere zu Peter Weiss forschten. Der eben zitierte, nicht zuletzt durch sein Buch Princeton 1966. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47 (2016) bekannte Literaturkritiker Jörg Magenau schloss 1990 mit einer von Jürgen Schutte betreuten Arbeit über Identität und Organisation. Schriftstellerisches Selbstverständnis in der Gruppe 47 und im Verband deutscher Schriftsteller sein Studium ab, um im selben Jahr als ehemaliger Mitarbeiter der Deutschen Volkszeitung zu den Gründern des Freitag zu werden, deren Literaturredakteur er bis 1996 war. Die langjährige Cheflektorin des Akademie-Verlags Sabine Cofalla promovierte 1997 bei Jürgen Schutte mit der Dissertation Eine kommentierte Auswahledition der Korrespondenz Hans Werner Richters, die in zwei Bücher aufgeteilt veröffentlicht wurde, weil der Hanser-Verlag nicht bereit war, den literaturwissenschaftlichen Kommentar Der „soziale Sinn“ Hans Werner Richters (vgl. Cofalla 1997) in die Brief-Edition aufzunehmen (vgl. Richter 1997).

Sowohl für die Arbeit am Katalog der von Jürgen Schutte kuratierten Ausstellung der Akademie der Künste Dichter und Richter. Die Gruppe 47 und die deutsche Nachkriegsliteratur (1988) als auch für das zusammen mit Eberhard Lämmert und dessen Schüler Justus Fetscher am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft veranstaltete Symposion Die Gruppe 47 in der Geschichte der Bundesrepublik (1991) gewann Jürgen Schutte Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter_nnen des Fachbereichs Germanistik der FU. Wie sehr Jürgen Schuttes Forschung das bisherige Bild von der Geschichte der Gruppe 47 verändern musste, belegt die Rezeption seiner Arbeit auf der Londoner Konferenz The Gruppe 47 Fifty Years on. A Re-appraisal of Its Literary and Political Significance (1999). Nicht anders war es im Fall von Peter Weiss.

Aus den Beständen der Akademie zu Weiss kuratierte Jürgen Schutte die Ausstellung Peter Weiss. Gemälde, Zeichnungen, Collagen (1991), zu der er auch mit Gunilla Palmstierna-Weiss den Sammelband Peter Weiss. Leben und Werk (1991) herausgab. Die Reihe seiner Editionen eröffnete die mit Wiebke Amthor herausgegebene digitale Peter Weiss: Die Notizbücher. Kritische Gesamtausgabe (2006), an deren sechs Jahre später erschienener zweiter Auflage (2012) auch Jenny Willner mitarbeitete. Zusammen mit Rainer Gerlach, der 2004 über Die Bedeutung des Suhrkamp-Verlags für das Werk von Peter Weiss (2005) bei Jürgen Schutte promoviert hatte, gab dieser 2006 Das Kopenhagener Journal aus dem Jahre 1960 von Peter Weiss heraus und 2010 die für Weiss‘ Entwicklung in den darauf folgenden Jahren höchst aufschlussreiche Korrespondenz mit dem Weiss-Spezialisten unter den DDR-Germanisten Diesseits und jenseits der Grenze. Peter Weiss – Manfred Haiduk. Der Briefwechsel. 1965-1982 (2010). Jürgen Schuttes editorische Arbeit am Werk von Peter Weiss gipfelte 2016 in der Neuausgabe von Die Ästhetik des Widerstands; der Katalog der DNB bewahrt die Verlagsmeldung von Suhrkamp: „Die beiden Ausgaben, in der Bundesrepublik die des Suhrkamp Verlags, Frankfurt am Main, in der DDR ab 1983 die des Henschel Verlags, Ost-Berlin, weichen im Textbestand vor allem im dritten Teil beträchtlich voneinander ab. Nun hat der ausgewiesene Philologe und Weiss-Kenner Jürgen Schutte die definitive Fassung erstellt: Sie präsentiert den Text nach den Vorgaben von Peter Weiss.“ Trotzdem erschien das zum Kommentar gehörige Register zum Text nicht bei Suhrkamp, sondern der Verbrecher Verlag brachte 2018 das von Jürgen Schutte in Zusammenarbeit mit Axel Hauff und Stefan Nadolny und mit Beiträgen von Nana Badenberg und Arnd Beise hergestellte Register zur Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss heraus.   

Unter den vielen Dissertationen zu den unterschiedlichsten Aspekten von Weiss‘ Werk, die im intellektuellen Umfeld Jürgen Schuttes entstanden sind, sei abschließend eine hervorgehoben, Wortgewalt. Peter Weiss und die deutsche Sprache (2014), weil deren Verfasserin, Jenny Willner, 2016 vom Literaturforum im Brechthaus eingeladen wurde, im Rahmen der „Peter-Weiss-Woche“ mit Manfred Haiduk  und Jens-Fietje Dwars, der in den 1980er Jahren zu dem Kreis der Ästhetik des Widerstands-Leser_innen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena gehört hatte, über die Frage zu diskutieren „Von der individuellen zur kollektiven Befreiung? Expressionismus – Psychoanalyse – Kommunismus“. Als Haiduk erkrankte, sprang Jürgen Schutte kurzfristig ein, und ich sah ihn zum letzten Mal. Während Dwars jetzt für eine nietzscheanische Lektüre plädierte und Willner für eine subversive, trat Jürgen Schutte für eine politische ein. Auf die angesichts des überwiegend jungen Publikums naheliegende Frage, mit welchem Text von Peter Weiss jemand, der oder die nichts vom ihm kenne, beginnen solle, empfahl Dwars Der Schatten des Körpers des Kutschers, Willner Rekonvaleszenz und Jürgen Schutte einen Text aus dem Jahr 1965, als dem Autor von seinem „Standpunkt“ (Rapporte 2, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971, 18) „in der geteilten Welt“(14) aus, um mit Brecht auch zu schließen, „das Ziel“„deutlich sichtbar“ wurde: „Meine Ortschaft“ (Rapporte. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1968, 113-124).     

   

Literaturverzeichnis

Amthor / Schutte / Willner 2006: Wiebke Amthor / Jürgen Schutte / Jenny Willner: Peter Weiss. Die Notizbücher. Kritische Gesamtausgabe, CD ROM. Berlin: Directmedia Publishing.

Cofalla 1997: Sabine Cofalla: Der „soziale Sinn“ Hans Werner Richters. Berlin: Weidler.

Conrady 1966: Karl Otto Conrady: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft.  Reinbek: Rowohlt.

Fetscher / Schutte/ Lämmert 1991: Justus Fetscher / Jürgen Schutte / Eberhard Lämmert: Die Gruppe 47 in der Geschichte der Bundesrepublik. Würzburg: Königshausen und Neumann.

Gerlach 2005: Rainer Gerlach: Die Bedeutung des Suhrkamp Verlags für das Werk von Peter Weiss. St. Ingbert Röhrig Universitätsverlag.

Gerlach / Schutte 2006: Rainer Gerlach / Jürgen Schutte (Hg.): Das Kopenhagener Journal. Kritische Ausgabe. Göttingen: Wallstein.

Gerlach / Schutte 2010: Rainer Gerlach / Jürgen Schutte (Hg.): Diesseits und jenseits der Grenze. Peter Weiss – Manfred Haiduk. Der Briefwechsel 1965-1982. Mit einem Geleitwort von Gunilla Palmstierna-Weiss. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag.

Häußler 1987: Inge Häußler: Rezension von: Jürgen Schutte: Einführung in die Literaturinterpretation. In: Weimarer Beiträge 33, S. 166-170.

Institutsvertretung des Germanischen Seminars 1967: Institutsvertretung des Germanischen Seminars (Hg.): Germanistikführer der Freien Universität Berlin. Berlin: Elwert und Meurer.

Kramer 1987: Jürgen Kramer: Rezension von Jürgen Schutte: Einführung in die Literaturinterpretation. In: Argument 162, S. 282-283.

Lämmert 1966: Eberhard Lämmert: „Germanistik – eine deutsche Wissenschaft“. In: E.L. u.a.: Germanistik – eine deutsche Wissenschaft. Berlin: De Gruyter, S. 76-91.

Lämmert 1969: Eberhard Lämmert: „Das Ende der Germanistik und ihre Zukunft“. In: Jürgen Kolbe (Hg.): Ansichten einer künftigen Germanistik. München: Hanser, S. 79-104.

Magenau 2016: Jörg Magenau: Princeton 1966. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47. Stuttgart: Klett-Cotta.

Magenau 2018: Jörg Magenau: „Eine bescheidene Großtat“ (25.7.2018). In: Süddeutsche Zeitung. URL: https://www.sueddeutsche.de/kultur/philologie-eine-bescheidene-grosstat-1.4067443 (zuletzt abgerufen am 06.11.2018)

Naumann 1978: Uwe Naumann: „Sammlung“. In: U.N. (Hg.): Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst 1. Frankfurt/M.: Röderberg, S. 4.

Palmstierna-Weiss / Schutte 1991: Gunilla Palmstierna-Weiss / Jürgen Schutte: Peter Weiss. Leben und Werk. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Richter 1997: Hans Werner Richter: Briefe. Hg. von Sabine Cofalla. München, Wien: Hanser 1997).

Schutte 1973: Jürgen Schutte: ‚Schympff red‘. Frühformen bürgerlicher Agitation in Thomas Murners „Grossem Lutherischen Narren“. Stuttgart: Metzler.

Schutte 1981: Jürgen Schutte: „Satire und Realismus. Zur Schreibweise des Dreigroschenromans“. In: Christian Fritsch, Lutz Winckler (Hg.): Faschismuskritik und Deutschlandbild im Exilroman. Literatur im historischen Prozess, Neue Folge 2. Berlin: Argument-Verlag, S. 65-82.

Schutte (o.D.)a: Jürgen Schutte: Darstellung und Materialien. Typoskript.

Schutte: (o.D.)b: Jürgen Schutte: Grundkurs. Typoskript.

Schutte 1980: Jürgen Schutte: „Bertolt Brechts Dreigroschenroman. Erfahrungen aus einem literaturwissenschaftlichen Grundkurs“. In: Uwe Naumann (Hg.): Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst 3, S. 170-189

Schutte 1985: Jürgen Schutte: Einführung in die Literaturinterpretation. Stuttgart: Metzler.

Schutte / Hauff / Köster 1973: Jürgen Schutte / Axel Hauff / Eckart Köster: „Aufriß eines literaturwissenschaftlichen Grundkurses. Zur Genese apologetischer und reaktionärer Literaturströmungen in Deutschland um 1900“. In: Gert Mattenklott, Klaus Scherpe (Hg.): Positionen der literarischen Intelligenz zwischen bürgerlicher Reaktion und Imperialismus. Literatur im historischen Prozess 2. Kronberg: Scriptor 1973, S. 210-305.

Schutte 1976: Jürgen Schutte: Lyrik des deutschen Naturalismus. Stuttgart: Metzler.

Schutte 1982: Jürgen Schutte: Lyrik des Naturalismus. Stuttgart: Reclam.

Schutte 1983: Jürgen Schutte: „‚Ein Jammer, daß nicht alle Fabrikanten so sind!‘ Zu Rudolf Herzogs Industrieromanen“. In: J.S. (Hg.): Erfahrung und Ideologie. Studien zur massenhaft verbreiteten Literatur. Berlin: Argument, S. 80-125.

Schutte 2018: Jürgen Schutte: Register zur Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss. Berlin: Verbrecher Verlag.

Schutte 1988: Jürgen Schutte: Dichter und Richter. Die Gruppe 47 und die deutsche Nachkriegsliteratur. Berlin: Akademie der Künste.

Schutte 1999: Jürgen Schutte: Literarische Restauration – literarische Opposition. Vom Spielraum realistischer Literatur am Anfang der 50er Jahre. In: Stuart Parkes, John J. White (Hg.): The Gruppe 47 Fifty Years on. A Re-appraisal of Its Literary and Political Significance. Amsterdam, Atlanta: Rodopi, S. 53-67.

Willner 2014: Jenny Willner: Wortgewalt. Peter Weiss und die deutsche Sprache. Konstanz: konstanz university press.